Aktuelles
Kirche ist … immer auch Teil der Gesellschaft. Aber was heißt das in dieser politisch brisanten Zeit, nur wenige Monate vor der Landtagswahl? Soll sich die Kirche positionieren? Soll sie moderieren? Soll sie sich vielleicht komplett aus der Diskussion heraushalten?
Dazu haben wir einige Personen des kirchlichen Lebens um ein Statement gebeten:
„Für alle! Das muss auch das Motto von Kirchgemeinden sein. Verschiedene Sichtweisen sollen miteinander ins Gespräch gebracht werden können, allerdings ohne die eigene Grundlage dabei zu verraten. Denn die Würde jedes (!) Menschen als Ebenbild Gottes gilt #füralle und ist nicht verhandelbar.“
Dr. Mandy Rabe ist Pfarrerin im Christus-Kirchspiel im Vogtland und hat ihre Doktorarbeit über die sächsische Kirche im Nationalsozialismus geschrieben
„Das Volk, der Souverän hat gewählt. Großes Erschrecken. Wählerschelte und Brandmauern helfen nicht. Aber fragen und zuhören. In den KV-Sitzungen, bei Besuchsdiensten, in den Chören und in ganz persönlichen Gesprächen herausfinden: Warum wählen die Menschen AFD? Deren Kernthemen Migration und Kriminalität müssen geduldig erklärt und differenziert werden. Schwierig, aber notwendig im Blick auf die Wahl im September.“
Gudrun Lindner, ehemalige Synodalpräsidentin
„Heraushalten ist hinter der Gardine stehen, schimpfen und an nichts schuld gewesen sein wollen. Sollte sich für einen Kirchenvorstand verbieten.Moderation ja, wenn sie gewollt ist. Kann aber auch nur die vornehme Form des Heraushaltens sein. Kommt also drauf an. Positionieren unbedingt. Klar und ehrlich aus christlicher Sicht. Aber andere Meinungen nicht ausgrenzen, sondern versuchen zu verstehen und mit Argumenten zu überzeugen.“
Matthias Weismann, Superintendent in Ruhe
„Ich mache die Erfahrung, dass Menschen in der aktuellen Situation, vor allem vor den Landtagswahlen, wissen wollen, was meine Meinung ist. Sie wollen nicht agitiert werden, sie wollen sich mit mir auseinandersetzen. Im Diskurs schärfen und verändern sich die Positionen. Deswegen sage ich auch offen, dass ich davon abrate, die AfD zu wählen oder eine andere rechtsextreme Partei.“
Tobias Bilz, Landesbischof
„Ich wünsche mir, dass die Kriterien, die für die Auswahl der Diakone in der Bibel verwendet werden, auch bei politischen Wahlen gelten. Diakonische Aufgaben sind Themen guter Sozialpolitik. Menschen im Blick zu haben, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, gilt für Politik und Kirche.“
Barbara Pfeiffer, kirchliche Verwaltungsmitarbeiterin, Landessynodale, ehrenamtliche Leiterin des sozialen Cafés B in Klingenthal
„Christsein in der Welt bemisst sich daran, dass Grundwerte zu allen Zeiten ihre Gültigkeit behalten. Dazu gehört für mich, die von Gott verliehene Menschenwürde aller zu achten. Würdevolles Miteinander zeigt sich in Respekt, Achtung und Anstand. Spott und Häme, auch über Dritte, gehören nicht dazu. In der Gemeinde heißt es, Grenzen zu wahren und konfliktfähig zu sein.“
Ulrike Weyer, Superintendentin im Kirchenbezirk Vogtland
„In meiner Projektarbeit in Kirche und Gesellschaft erlebe ich es als wirkungsvoll, wenn Kirchenvorstände eine Haltung entwickeln, die Solidarität mit denen zeigt, die zunehmend von Diskriminierung in Sachsen betroffen sind. Kirche bleibt glaubhaft, wenn sie sich für ein Leben in Vielfalt einsetzt.“
Fanny Lichtenberger vom Projekt-Raum-Kirche in Leipzig
„Wahlen sind eine gute Gelegenheit darüber ins Gespräch zu kommen, was einem für sich selbst, für die Kirchgemeinde und für die Gesellschaft wichtig ist.Tun Sie das doch auch in Ihren Beratungen! Zwanzig Minuten. Eine These (z.B. aus dem Wahl-O-Mat) oder eine Frage. Sprechen, zuhören, verstehen.“
Jonathan Leistner, Schulbeauftragter im Kirchenbezirk Marienberg
Das Kirchspiel Radeberger Land. Ein Statement und seine Geschichte
Von Pfarrer Johannes Schreiner
Als sich am Jahresanfang in vielen sächsischen Großstädten Protestkundgebungen gegen das Erstarken von Rechtspopulismus formierten, fand sich auch in Radeberg ein Bündnis, das Kundgebungen in diesem Sinne und Aktionen zur Stärkung der Demokratie und der Vielfalt in der (Stadt-)Gesellschaft organisierte. Als Teil dieses Bündnisses bin ich für die Kundgebungen um einen Wortbeitrag gebeten worden. Dieser Bitte bin ich gern nachgekommen, zunächst als Privatperson, beim zweiten Mal aber sehr dezidiert als Pfarrer und Vertreter der Kirche im Ort. Die darauf folgenden Reaktionen waren z.T. sehr kritisch, sodass ich sowohl den Beitrag als auch meinen Auftritt grundsätzlich zu einem Tagesordnungspunkt in der KV-Sitzung gemacht habe.
Die Grundfragen waren:
1. Steht der Kirchenvorstand inhaltlich hinter dem Ortspfarrer, wenn dieser als Vertreter des Kirchspiels öffentlich spricht?
2. Können wir uns als Kirchspiel in dieser Sache überhaupt positionieren, wissend, dass es nicht wenige Gemeindeglieder gibt, die dazu eine ganz andere Meinung haben und diese auch äußern?
In der Diskussion dazu, war schnell deutlich, dass der KV es befürwortet, dass der Ortspfarrer sich an Kundgebungen und Aktionen beteiligt und darin auch aktiv zu unterstützen ist. Ebenso, dass Kirche im Allgemeinen sich äußert. Etwas kritischer wurden konkrete Aktionen oder Äußerungen des Kirchspiels vor Ort gesehen, weil die Vertreter aus fast allen Orten des Kirchspiels bereits Auseinandersetzungen mit Gemeindegliedern (z.T. auch Gremienmitgliedern) erlebt hatten und das als anstrengend und schwierig empfanden (man kennt sich, begegnet sich). In der kleinstädtischen und ländlichen Struktur des Kirchspiels ist der Schutz der Anonymität, wie ihn die Großstädte bieten, eben nicht oder kaum vorhanden. Es gab aber eine einhellige Einsicht in die Notwendigkeit und Zustimmung trotz erwartbarer Gegenreaktionen, ein Statement zu verfassen, als „Bekenntnis“ des KV. Dazu und zum Wortlaut des Statements fasste der KV einen einstimmigen Beschluss. Das hat mich sehr froh gemacht.
Der Text ist in Teilen einem Aufruf der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) entnommen, weil in den Formulierungen dieses Aufrufs vieles von dem zur Sprache kommt, was dem KV ein Anliegen war. Außerdem war der EKM-Text bereits geprüft und erprobt. Im Zweifelsfall konnte man sich darauf berufen. Der Wortlaut wurde dann in den nächsten Kirchennachrichten und als Aushang in den Schaukästen veröffentlicht.
Die Reaktionen waren gemischt. Es gab viel Zustimmung z.B.: „Sie helfen mit Ihren Redebeiträgen, dass die große Mehrheit nicht in der Sprachlosigkeit verharrt. Sie machen Mut!“ (Zitat aus einer Mail), aber auch viele kritische Stimmen, z.B.: „Für mich sollte Kirche eine Stelle des offenen Gesprächs sein. Sie sollte über den politischen Lagern in der Gesellschaft stehen. Sie sprechen von Demokratie, aber rufen aktiv dazu auf, auch gewählte Stadträte, die in den vergangenen Jahren in Radeberg tätig waren, zu boykottieren.“ (Zitat aus einer Mail) oder: „Der Artikel des KV trägt dazu bei, die Kirche und die Gemeinde weiter zu spalten.“ Außerdem gab es einige anonyme Briefe z.T. mit der Androhung eines Kirchenaustrittes.
Wir haben diese Reaktionen im KV zur Kenntnis genommen und überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt, mit diesen (und auch anderen ähnlich Denkenden) ins Gespräch zu kommen. Wir haben dafür weder ein Format, noch die nötigen Ressourcen entwickeln können. Allerdings konnten wir uns darauf einigen, die Arbeit des Bündnisses, die auch Gesprächs- und Begegnungsformate beinhaltet, sehr konkret zu unterstützen und uns daran zu beteiligen. So gab es in der Radeberger Kirche ein wunderbares Konzert mit Texten von Mascha Kaléko mit anschließendem Gesprächsangebot und ein Bürgerpicknick auf dem Marktplatz an einem Sonntagmittag, gemeinsam mit der Band Banda Communale.
Wir halten es für ausgesprochen wichtig, dass es nicht bei bloßen Wortäußerungen bleibt. Sie sind zweifellos relevant, weil sie hinschauen und benennen, was ist. Wir sollten aber auch nicht aufhören, das Gespräch zu suchen und anzubieten. Auch denen, die das anders sehen und selbst, wenn das manchmal schwerfällt.